Das Dilemma mit dem Lehrermangel.

von | 05.03.2023

Hallo ihr Lieben, sämtliche Medien berichten momentan über dieses Thema, allerdings ist dieses Thema natürlich nicht neu, denn die Kultusministerkonferenz hat bereits im Jahre 2003 davon berichtet und die Weichen für den Lehrermangel wurden auch schon vor 2003 gesetzt, auch wenn die Idee der Mobilisierung und die Erhaltung der internationalen Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit gut gemeint war:

Lehrermangel hausgemacht?

Denn 20 Jahre später, hat sich immer noch nichts an der grundlegenden Situation geändert. Im Gegenteil: es fehlen in Deutschland von Jahr zu Jahr mehr und mehr Lehrkräfte!

Der Lehrermangel hat natürlich viele Ursachen, die einerseits im System selber zu finden sind (vgl. hier auch den Artikel „Entstehung und Entwicklung des Beamtenrechts in Deutschland“ in: Publikationen für den öffentlichen Dienst), andererseits natürlich auch durch den demographischen Wandel und den Bologna-Prozess noch verstärkt werden. Es mangelt an einem attraktiven Beruf. Sehr gute und gute Abiturienten entscheiden sich nur sehr selten für ein Lehramtsstudium, die Top-Schüler von heute gehen nur selten später in die Schule – hierüber hat das Handelsblatt neulich erst berichtet, wobei ich sagen muss, dass Abiturnoten nichts über die Qualität als ausgebildete Lehrkraft aussagen. Die Anforderungen der Lehrerausbildung, das Image des Lehrers in unserer Gesellschaft sowie die hinlänglich bekannt stressigen Arbeitsbedingungen (beeinflusst durch die Rahmenbedingungen sowie die im System Schule handelnden Strukturen und Personen) tragen zu einer Verschärfung des Lehrermangels bei. Die Lösung in Quereinsteigern zu finden, halte ich für bedenklich. Diese werden nicht selten an den Katzentisch verfrachtet. Keine ausreichende pädagogische Eignung, heißt es da oft von den Kollegen, gleichwohl sie viel Praxis aus anderen Bereichen mitbringen, was Schüler brennend interessieren dürfte. Aus meinen Coachings beobachte ich deshalb oft, dass Quereinsteiger oft schneller wieder weg, wie sie angekommen sind. Dazu könnte man meinen, dass Politikerinnen und Politiker die Grenzen ihres eigenen Wirkens nur sehr schlecht verstehen und bislang keine guten bildungspolitischen Maßnahmen getroffen haben, die dieses Problem langfristig beheben. Sie sind vom Geschehen einfach zu weit weg. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass langfristig und nachhaltig orientierte Bildungspolitik kaum gemacht wird, erstrecht nicht über eine Legislaturperiode hinaus. Andererseits kann ich auch nachvollziehen, dass Politiker auf der Ebene nur wenig Spielraum haben um großgreifende Reformen anzustoßen.

Hinzu kommt eine eventuell steigende Zahl an Aussteigern, also Personen die diesen Beruf aufgeben und sich in der Wirtschaft oder einer Selbstständigkeit verwirklichen.

Um den Lehrermangel zu beheben, bedarf es einer grundsätzlich anderen Herangehensweise und Organisation (weiter unten greife ich das Thema noch mal auf). Monetäre Anreize sowie die mit einer Verbeamtung suggerierte Sicherheit sind oft das einzige Instrument, auf das die Bildungspolitik zurückzugreifen weiß. Diese Anreize reichen nur leider nicht aus, wenn es um Qualität und Nachhaltigkeit gehen soll.

Der Status und die hohe Pension sind bestimmt attraktive Anreize, auch um kurzfristig dem Lehrermangel entgegenzuwirken und Bildung zu sichern. Arbeitsmarktpolitisch halte ich ihn allerdings für nicht zielführend und längst überholt. Er schafft die falschen Anreize, sorgt für ein Verharren in längst überholten und starren Strukturen bei unzumutbaren Arbeitsbedingungen und mangelnden Ressourcen. Obendrein fördert er auch noch eine ungesunde Arbeitskultur (so ist die Mobbing- und Bossingrate im öffentlichen Dienst extrem hoch) und -motivation sowie eine Weltsicht, die mit der Welt außerhalb von Schule nicht viel zu tun hat, weshalb ihm auch sein Image vorauseilt und deshalb bei einem Change sogar hinderlich sein kann. Die Frühpensionierungsquote unter Lehrern ist jedenfalls nicht umsonst so hoch. (Quelle: Statistisches Bundesamt) Weiterhin ausschließlich monetäre Anreize zu erhöhen, um damit weitere Lehrkräfte zu ködern und zu binden, ist allenfalls ein Fass ohne Boden und wird nicht zu nachhaltigen Veränderungen führen, die das System so dringend braucht.

Denn wie heißt es so schön: „Wenn Du nur das tust, was Du immer schon gemacht hast, wirst Du auch nur das bekommen, was Du immer schon bekommen hast!“ Punkt um: Möchtest du ein anderes Ergebnis, musst du etwas anderes tun.

Wir wissen alle: der gesamte Beruf muss attraktiver und gesünder gestaltet werden! Bildung benötigt eine gesamtgesellschaftliche Aufwertung, nicht nur monetär, gerade weil Bildung so wichtig ist. Mit Bildung fängt schließlich alles an. In anderen Bereichen wie der Pflege, dem Kitaumfeld usw. gibt es ähnliche strukturelle Probleme.

Die Schüler von heute, die Lehrkräfte von morgen, finden wegen bestimmten Attributen, die Schule ihnen nicht bietet, woanders ihren Platz. Und ich vermute, dass das den Lehrermangel langfristig sogar noch verstärken wird, mit verehrenden Folgen für alle Beteiligten einschließlich des Steuerzahlers, denn der demografische Wandel hat noch nicht mal richtig eingesetzt. Bisherige politische Lösungen, wie bspw. die Teilzeitarbeit zu verbieten, werden vermutlich zu noch mehr Abwanderung oder Krankheit führen.

Schule ist aus meiner Sicht oft auf die gegenwärtigen Herausforderungen von heute und morgen nicht hinreichend vorbereitet und ausgestattet, auch wenn viele Lehrer wirklich sehr engagiert sind und ihr Bestes geben. Schulleitern mangelt es oft an Ressourcen und Instrumenten, um Schule zügig & pragmatisch im Team, nachhaltig, zukunftsfähig und gesund zu gestalten. Angesichts der Tatsache, dass wir Schulen das Wichtigste überlassen, was wir haben, nämlich unsere Kinder, ist das ein ernstzunehmendes Thema, persönlich wie auch gesellschaftlich. Minister trauen sich hier nicht, weitreichende Reformen, die langfristig und nachhaltig wirken, auf den Weg zu bringen, auch bedingt durch die dafür relativ kurze Regierungsperiode.

Was Schulleiter, Lehrer und Schüler meinen ganzen Beobachtungen nach im staatlichen Schulsystem motivieren würde, ist eine offene, Grenzen wahrende, wohlwollende und tolerante Haltung, differenzierte Führung und Kommunikation auf Augenhöhe, dem Menschen würdige, individuelle, moderne Arbeits-, Lern- und Entwicklungsspielräume, echtes, tragfähiges Teamwork, eine realistische Lehrerausbildung, die den tatsächlichen Lehreralltag spiegelt und dienlich ist und die Fähigkeit des Systems, sich flexibel, human und integrativ an neue Gegebenheiten anzupassen. Alles andere führt dazu, dass engagierte und fähige Lehrkräfte irgendwann das System adaptieren (müssen) – mit allen Konsequenzen – oder in dem Moment gehen, wo sie sich selbst und das System verstanden haben, ganz im Sinne von: „Love it, change it or leave it!“

Im Gegensatz zu Unternehmen oder privaten Bildungsträgern auf dem freien Markt ist das staatliche Schulsystem primär formalistisch und nicht auf wirtschaftliche Ziele angelegt, deshalb konkurrenzlos, starr, sehr langsam und lässt sich, wenn überhaupt erwünscht, mühselig und auch nur auf politischer Ebene ändern. Der Teil des Bruttoinlandproduktes, der in die Bildung fließt, reicht nicht aus, um Schule hinreichend zukunftsfähig zu machen und Bildung zu sichern, dass ist überhaupt das ganze Paradoxon an dem Bildungs- und Erziehungsauftrag an sich, wie es im Schulgesetz verlangt wird. Das System scheint vielmehr zu kollabieren. Andere Länder machen es uns vor und die Pisastudie spricht für sich. Das gesellschaftlich schlechte Image des Lehrers rührt auch daher.

Viele Lehrer scheitern an idealistischen Vorstellungen, was das Berufsbild und den tatsächlichen Lehreralltag angeht – der Praxisschock ist dann nicht weit -, hatten vorher vielleicht einfach keine konkreten Vorstellungen vom Berufsalltag, sind vielleicht nach dem Studium durch andere Umstände in der Schule gelandet oder können oder wollen den Beamtenstatus nicht aufgeben. In jungen Jahren ist man sich selbst vielleicht auch nicht so bewusst. Andere übernehmen unreflektiert die Vorlieben und Ängste der Eltern. Die Zeiten, wo Lebensläufe zu 100 % linear verlaufen, sind heute allerdings auch vorbei.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass vielen Lehrkräften perspektivisch außerhalb von Schule nicht unbedingt der rote Teppich ausgebreitet wird, erstrecht wenn man auf Lehramt studiert und ein gewisses Alter erreicht hat. Aussteigen und/oder sich innerhalb des Systems umzuorientieren ist keine leichte Übung. Es bedarf viel persönlicher Klarheit, Mut, Verzicht (Stichwort: Pension) und vor allem frühzeitige Strategie und Ausdauer, die du am besten für dich behältst. Hier ist es wie mit dem Lernen: persönliche oder organisatorische Prozesse brauchen einfach ihre Zeit. Hinzu kommt der zeitliche Druck: viele Lehrer können oft nicht mehr, sie warten dann noch viel zu lange und denken, das „Märchen“ geht irgendwann doch noch gut für sie aus. Hier spielen eine Menge Faktoren eine Rolle, die differenziert angeschaut werden müssen. Für euch bedeutet das: sobald ihr ein komisches Gefühl verspürt und merkt, dass im Job und im System etwas nicht stimmt, solltet ihr zügig hinterfragen, was da los ist, entscheiden und folglich auch handeln.

Lehrer können, erst recht nicht bei den Bedingungen, die ganze Welt retten. Außenstehende können gerne mal eine Woche versuchen am Tag 30 Schüler pro Klasse, à 8 Stunden am Tag, ohne echte Pausen zu führen, zu lehren und zu verwalten (Klassenbücher, Ordnungsmaßnahmen, Zeugnisse usw.). Nebenbei noch Unterricht planen und nachbereiten, Gespräche führen, Korrekturen vornehmen, Klassenleitungen übernehmen, Inklusion, Integration, Digitalisierung, Konferenzen (Schulkonferenzen, Bildungsgangkonferenzen, Fachkonferenzen, Konferenzen resultierend aus Ordnungsmaßnahmen usw.), individuelle Förderung und diverse Zusatzaufgaben übernehmen usw. Für persönliche Reflexion, Weiterentwicklung und Austausch bleibt da nicht viel Raum. Viele möchten das natürlich nicht wahrhaben und gerne schaffen, sie wollen ja schließlich gute Lehrer sein, erkennen nur leider nicht, dass die Anforderungen für jedermann unmöglich sind. Manch` einer fragt sich dann im Zeitablauf verwundert, wo die anfängliche Motivation hin ist, was eigentlich mit einem los ist, weil sich mit der Zeit Unlust, Müdigkeit, etc. breitmachen. Der Dienst nach Vorschrift, ein anderes Amt oder Teilzeit sind dann gerne mal die letzte Möglichkeit, sich bis zur „wohlverdienten“ Rente durchzuschleppen. Verständlich, jeder will sich schließlich selbst retten. Und wer sich „erdreistet“, mal krank zu sein, was menschlich ist, wird nicht selten angefeindet. Das gilt auch für Schwangere und Mütter. Denn den Job der Kollegen on top zu machen, übersteigt nun wirklich sämtliche Kapazitäten. Wer da kein Organisationstalent ist, schwimmt sowieso, und das nicht nur im Referendariat. Ich hab schon Kollegen erlebt, die sind mit 45 Jahren einfach umgefallen. (Vgl. auch Deutsches Schulportal der Robert Bosch Stiftung) Es ist einfach zu kurz gedacht, Lehrern ausschließlich mit einem Achtsamkeitskurs helfen zu wollen, wie manche Länder nun empfehlen. Das hat mehr was von gängeln, als von echten Lösungen und leugnet gleichzeitig die eigene Verantwortung. Lehrer sind studierte Menschen und keine stupiden Maschinen, die alle gleich funktionieren. Schüler auch nicht. Sie ihrer Individualität zu berauben, funktioniert nur temporär, aufgrund von Machtstrukturen. Wobei viele Lehrer doch versucht sind, ihre Selbstwahrnehmung abzuschalten, um im Lehreralltag zu funktionieren. Eine im Grunde sehr pathogene Strategie.

Aus zahlreichen Coachings höre ich immer wieder, dass das Klima oft von Machtkämpfen, Kontrolle, Null-Fehlertoleranz, Destruktivität und einer gewissen „Dümpel-Mentalität“ geprägt ist. (Vgl. auch „Viele Manager leiden unter einer Persönlichkeitsstörung aus Bild der Wissenschaft“) Es mangelt an konstruktiver Kommunikation, Empathie, einem angemessenen Nähe-Distanz-Verhalten, Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Beteiligte tun sich damit schwer, individuelle Grenzen, auch Belastungsgrenzen zu achten und zu respektieren sowie sich an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen. Zu den ohnehin schon hohen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, wirkt sich das natürlich noch zusätzlich auf die Motivation, die Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit sowie das Image aller Beteiligten aus.

Für viele gibt es keinen Fokus auf ihre Kernexpertise und keinen Gestaltungsraum. Generell sind die Handlungs,- Entscheidungs- und Gestaltungsräume ehrer dünn gesäht. Eher fungiert man als ständiger Feuerlöscher, ob es einem passt oder nicht, was bestimmt kein geeignetes Führungsinstrument ist, um Mitarbeitende hinreichend zu motivieren. Wechselmöglichkeiten innerhalb des Systems sind rar gesäht und bedürfen grundsätzlich der Genehmigung.

Wie oben erwähnt, gibt es den Lehrermangel schon lange. Schon damals während meines Studiums habe ich über vergleichende Bildung der Länder in der Berufsbildung geschrieben und geforscht. Neu ist nur die neue Generation Z, die zu den Bedingungen dort nicht mehr arbeiten möchte und das ist das Kernproblem. Bedingungsloses Pflichterfüllung ist vielmehr ein Konstrukt aus längst vergangen Zeiten. Geld und Sicherheit als alleiniges Recruitinginstrument einzusetzen, greift nicht mehr. Was bringen einem Geld und Sicherheit, wenn die anderen Dinge nicht stimmen und man die wohlverdiente Pension nicht mehr genießen kann? Schon Herzberg hat festgestellt, dass die gewisse Existenz von Hygienefaktoren nicht dazu führt, dass Mitarbeiter besonders motiviert und zufrieden sind. Dienst zu tun, um ausschließlich auf das Pensionskonto einzusparen, scheint aus Sicht der neuen Generation nicht unbedingt attraktiv. Sie wollen in der Gegenwart leben und ihr Leben auch genießen, wenn schon die anderen Systeme, wie Rente, Immobilien usw. hinken. Der Klimawandel bekräftigt das vermutlich auch noch.

Was das Lehrerdasein® tatsächlich bedeutet, kann man vollumfänglich, vorausgesetzt, man nimmt sich, andere und das System im Ganzen differenziert wahr, erst durch die Praxis gänzlich erfasst und idealerweise reflektiert werden. Über die Erkenntnis ist ein etwaiger  Change, in- oder außerhalb von Schule, am besten frühzeitig, möglich. Und für alle Betroffenen, die gerade feststecken: Wir können unser Leben nur rückwärts verstehen, müssen es aber vorwärts leben. 100 % ige Sicherheit wird es deshalb nie geben. Sicher bist du, wenn du dich selbst kennst du Vertrauen hast, dass deine Geschichte schon gut ausgehen wird.

Und für die Kritiker, die jetzt schon laut werden und entgegnen könnten, wir könnten uns glücklich schätzen, dass die Bildung hierzulande gesichert ist: natürlich geht es noch schlechter. Schlechter geht es bestimmt immer. Eine Frage des Standards, denke ich. Es gibt jedoch bestimmt noch Luft nach oben. Andere Länder machen es uns seit Jahren vor. Schwarz-Weiß-Denken bringt uns hier nicht weiter, Weisheit entsteht durch multiperspektivische Betrachtung. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland eins der reichsten Länder der Welt ist, erschreckt mich doch die Tatsache sehr, dass wir in der PISA Studie die hinteren Plätze belegen und mittlerweile deutlich geworden ist, dass unter den herrschenden Bedingungen es kaum noch möglich ist, dem Bildungs- und Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Da ist schon die Frage berechtigt, was uns andere Länder voraus haben? Und mit wem wir uns standardmäßig bei gleichen oder unterschiedlichen Voraussetzungen vergleichen wollen und ob der Vergleich anderer Länder hier die Rechtfertigung dafür ist sein kann, doch alles beim Alten zu belassen, obwohl das System zu kollabieren scheint?

Wie immer gilt: Wenn ihr Themen habt, die euch unter den Nägeln brennen, worüber ich schreiben soll, Impulse, Feedback etc. schreibt mir gerne an: bianka@lehrercoaching.de. Ich freue mich auf eure Gedanken und euer Feedback!

Take Care und liebe Grüße,
Bianka

Lehrercoaching® I Lehrerblog I Bianka Vetten

Bianka Vetten

Dein Lehrercoach & Partner

Ehemalige Studienrätin und Ausbilderin, Business- und Karrierecoach, Trainerin, Reiss Motivation Profile Masterin, Personal-, Organisations- und Teamentwicklerin

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