Hallo ihr Lieben, heute erzähle ich euch die fiktive Geschichte von Fred – entscheidet selbst, was euch dort bekannt vorkommen könnte 🙂
Fred ist 29, hat gerade sein Studium samt Referendariat mit Prädikat abgeschlossen und freut sich auf den Einstieg ins Berufsleben. Gemeinsam mit seiner Freundin Antje genießt er die letzten Sommerferien, bevor es endlich losgeht und er ab August fester Bestandteil des Lehrerzimmers ist und seine erste eigene Klasse an einer Schule in Neustadt bekommt. Er freut sich auf die Zusammenarbeit mit motivierten Kollegen sowie auf motivierte und lernfreudige Klassen und ist zudem noch fest gewillt, sich mit seiner Kompetenz und seinem Einsatz einen nachhaltigen Ruf an seiner Schule, ach was, in der gesamten Bildungslandschaft zu erarbeiten. Ein Idealist eben, denn er möchte zusätzlich noch gerne Bildungsinfluencer auf Instagram werden und mit der Politik über Bildung sprechen. Seine Ideenlandschaft ist schier unendlich.
Bevor es aber so weit ist, geht er noch mal mit Antje richtig fein essen. Schon die Wahl des Restaurants bereitet ihm ein kleines Zwicken im Bauch. Es klingt zwar ob des französischen Namens nobel, doch heißt „L’École“ nicht „die Schule“? Nun ja, es wurde ihm ja von Herrn Dr. Leerer, der Lehrerkoryphäe schlechthin in Neustadt, empfohlen und der kann sich ja nun mal nicht irren.
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Antje hat einen Tisch reserviert und Fred’s Wunsch, von einem Tisch in der Mitte des Raumes angegeben. Aber da sie neu sind in Neustadt und an der Schule und man sie dort nicht kennt, gibt es leider nur einen Tisch weit außen, ganz in der Nähe der Toiletten. „Na das bedeutet wohl, wir müssen uns erstmal hinten anstellen. Wenn wir dann oft hier sind, uns gut benehmen und fleißig Trinkgeld geben, kriegen wir sicher mal was in der Mitte“, unkt Fred. Irgendwie kommt ihm das bekannt vor und ihm zieht sich der Magen leicht zusammen.
„Ist doch jetzt egal, Schatz, wir bestellen uns jetzt was Leckeres. Worauf hast Du Lust?“, fragt Antje. „Ach, weißt Du, ich mach es wie in der Schule: ich brauche was leicht Verdaubares, was gut schmeckt, Spaß beim Essen macht und dazu nicht zu teuer ist. Dann hab ich noch Luft nach oben.“ Dann schauen wir mal was wir auf der Karte haben.
Der Kellner kommt und verteilt die Karten. Beim Blick in das Menü wacht Fred auf: er merkt, dass dies eine Liste aller Klassen der Schule in Neustadt ist und er sich eine aussuchen darf. Der Ober ist nicht im Restaurant angestellt, es ist sein Schuldirektor Herr Doktor Humboldt von Monolog, der sich selbstverständlich um die Belange jedes seiner 167 Schäfchen kümmert – mit den Referendaren, die natürlich am Katzentisch Platz nehmen müssen, könnten es aber auch zehn mehr sein.
„Nun gut“, denkt sich Fred, „wenn ich schon die Wahl habe, muss ich ja eine Entscheidung treffen. Ich nehme die Klasse Nummer 12, die haben schon ein Jahr in der Schule hinter sich, sind sicher gut erzogen und intrinsisch motiviert. Mehr muss es zum Einstieg ja nicht sein, passt auch zu meinem Fach. Ich muss ja auch erst noch alles kennenlernen“.
„Das ist eine gute und mutige Entscheidung“, lobt der als Ober verkleidete Schuldirektor. „Aber heute ist ihr Glückstag, heute gibt es zwei zum Preis von einem. Ich denke, sie sollten zusätzlich zu dieser Klasse noch die Klasse 8 nehmen. Das ist thematisch zwar anders, aber ich traue ihnen zu, dass sie bis kommende Woche perfekt auf diese Herausforderung vorbereitet sein werden.“
Der Schock sitzt und Fred verschluckt sich fast an dem Glas Wasser, was Antje ihm eiligst anreicht. Sein Ziel war doch, langsam Verantwortung zu übernehmen und in den ersten Jahren Kollegen, Schüler, Prozesse und alle internen und externen Partner kennenzulernen. Und jetzt direkt zwei Klassenleitungen?
„Ich würde es ja gerne mit ihm diskutieren“, sagt Fred zu Antje, „aber ich denke, er hat sich sicher was dabei gedacht und eigentlich ist es ja eine tolle Auszeichnung, dass er mir das direkt zutraut. Ich werde das schon machen“. Antje guckt etwas stutzig, kennt sie doch aus ihrem Job in der freien Wirtschaft wie man mit jungen Talenten umgeht und sie langsam an alle Herausforderungen im Berufsalltag heranführt.
Kaum ausgesprochen, steht der fleißige Ober schon wieder am Tisch der beiden, an dem sich die Stimmung merklich gesenkt hat.
„Herr Humboldt von Monolog, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Jedoch würde ich es bevorzugen, erstmal nur eine Klassenleitung zu übernehmen und im Beruf anzukommen, die Schule kennenzulernen und mich mit den ganzen Zusatzaufgaben vertraut zu machen. Schließlich möchte ich mich ja auch langsam weiterentwickeln. Perspektivisch übernehme ich gerne eine weitere“. Voller Selbstbewusstsein versucht sich Fred, sich seinem Vorgesetzten gegenüber zu behaupten und sich selbst gegenüber verantwortlich zu sein.
Den Schuldirektor scheint das aber nicht zu jucken, denn er weist ihn zunächst auf die korrekte Anrede hin und dass Fred zukünftig Gebrauch vom „Doktor“ machen sollte. Voller Routine fängt er nun an, über die Leistungen verdienter Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Jahrzehnten zu referieren. „Wissen Sie, Sie sind noch jung, da macht die ein oder andere zusätzliche Klasse und Aufgabe nichts. Ihre erfahrenen Kollegen haben das jahrelang gemacht. Und sind wir doch mal ehrlich, Fred. Bei ihrem Talent und ihrer Ausbildung, sollte das doch kein Problem sein, immerhin sind Sie doch dankbar, dass ich Ihnen diese Chance gebe und Sie diese Stelle bekleiden. Sie wollen doch ein gutes Gutachten oder etwa nicht?“
Fred nickt zustimmend und wippt unter dem Tisch nervös mit den Füßen. Er kann sich gerade nicht vorstellen, ob es so sinnvoll war, sich selbstbewusst zu behaupten.
Und da kommt auch schon sinnbildlich das Essen. „Bitte sehr, ihre beiden bestellten Klassen. Einmal die 12, einmal die 8. Darf ich Ihnen die Zutaten und Zusatzstoffe erklären?“
Fred versteht die Frage nicht und auch Antje guckt dem Kellner verdutzt in die Augen. Normalerweise wird man doch vorher über Zutaten und Zusatzstoffe informiert. Dieser entgegnet im besten Verkäuferton: „Heute ist ihr Glückstag. Gerne nehme ich mir Zeit für Sie. Außerdem haben wir für Sie die Gerichte etwas größer proportioniert als erwartet. Die Klassen haben 31 Schüler, sind doch nur 15 mehr wie gewohnt. Sie sind jung und können das vertragen. Ab 32 Schülern dürften wir die Klassen teilen, aber einer fehlt – sorry. Würde außerdem eh nicht funktionieren, wir haben ja Lehrermangel. Fünf von denen sind ohnehin lernschwach und brauchen individuelle Förderung, das müssen Sie hinbekommen. Und für den Schüler, der nicht gut sehen kann, müssen Sie alles extra groß kopieren, digital sind wir noch nicht unterwegs. Das Breitband läuft noch nicht und die Endgeräte fehlen. Sie haben ja gesehen, dass Corona die Schwachstellen aufgedeckt hat und sich auch nach gut 1,5 Jahren Pandemie nichts so schnell ändert. Und damit das funktioniert, rate ich Ihnen, extra früh ins Schulgebäude zu kommen, weil wir ja nur einen Kopierer für 167 Lehrer haben.“, entgegnet Herr Dr. Humboldt von Monolog.
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„Aber…“ versucht Fred noch in seiner Überforderung zu sagen – „kein Aber mein Lieber. Sie sind Beamter des Landes, wissen Sie, was das für Sie bedeutet? Das was sie hier auf den Teller bekommen, ist eine exzellente Auswahl und beinhaltet sämtliche Zusatzstoffe, die von unserer Führungsregie als zumutbar definiert wurden: Inklusion, Digitalisierung in unserem nicht-überall breitbandfähigem Schulgebäude ohne digitale Endgeräte und nur einem PC Raum für 3200 Schüler. Depressive Schüler und Schüler mit anderen persönlichen Herausforderungen, für die sie nicht ausgebildet wurden. Drei Schüler sprechen kein Deutsch, aber sie finden sicher einen Weg mit ihnen zu kommunizieren und sie fit für das Berufsleben zu machen. Mir sind da auch die Hände gebunden, ich nehme sie alle gerne an und garniere meine Klassen damit, denn eine gute Masse an Schülern und Klassen wird ja bekanntlich gut bezuschusst. Und das Mädel, was gerne am Wein nascht, müssten sie auch besonders gut betreuen. Außerdem haben wir den Jan-Phillipp von Vogelsberger in der Klasse 12, bei dem mischt sich immer der Betrieb ein und fordert gute Noten. Machen Sie einfach was die von Ihnen wollen. Und vergessen Sie nicht, sich inhaltlich und zeitlich strikt an die didaktische Jahresplanung zu halten. Ich kontrolliere das und sammle alle Hefte am Ende der Probezeit ein. Aber sie sind ja gut ausgebildet, sie schaffen das schon. Ach, bevor ich es vergesse: falls sie Verdauungsprobleme damit haben, wir haben sogar einen (!) Sozialarbeiter, der hilft ihnen sicher, wenn er denn mal da ist… Kopf hoch, Brust raus. Teilen Sie sich Ihre Energie gut ein, Sie haben ja schließlich noch 40 Jahre vor sich. Ach ja, noch etwas, Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen die neue Referendarin Frau Beinreisaus aufs Auge drücke? Sie soll schließlich direkt von den besten lernen. Das verstehen Sie doch?!“
Nun weiß Fred überhaupt nicht mehr, ob er sich noch auf den Schulanfang freut, den Appetit hat es ihm schon verdorben. Endlich geht der Ober weg zum nächsten Tisch. Doch bevor sich Fred von diesem Schreck erholt, dreht der Kellner sich um und fragt mit einem provokanten Grinsen: „Darf es noch ein bisschen mehr sein?“